Freiheit ist schon was schönes

The Bund Shanghai

38. Blog am 15. Februar 2022

Ich war noch nie in meinem Leben 3 Wochen eingesperrt. 2 Wochen in einem Hotel und eine Woche zu Haus. Kein Entkommen. Auch nicht mal eben kurz raus. Es ist eine Erfahrung, die man eigentlich nur macht, wenn Du etwas Schlimmes gemacht hast und das Recht spricht. Jedoch, wenn Du zur Zeit nach China möchtest, ist das die Pflicht, die du erfüllen musst, damit du wieder dort ankommst, wo du als Expat nun einmal gerade lebst.

Olympia in Peking

Zur Zeit bekommt die Welt etwas detaillierter die chinesische Gangart mit, denn es sind Olympische Spiele in Peking und der ein oder andere Athlet oder Funktionär muss sich unverzüglich in ein Quarantäne Hotel bewegen, wenn ein positiver Covid Befund vorliegt. Das ist kein Spaß, denn es ist kein Hotel mit gefüllter Minibar, täglich frischen Handtüchern oder gutem Essen und vor allem für die Sportler ausreichend Möglichkeiten, sich fit zu halten und das Hoffen, bald ins Olympische Geschehen doch noch eintreffen zu können.

Unsere Quarantäne im Hotel

Mein Mann und ich hatten das Glück, dass wir zusammen in ein Quarantäne-hotelzimmer für die 14 Tage gehen konnten. Eine kleine Suite. Alles schon ziemlich abgewohnt. Ein Sofa, zwei Sessel, eine Chaiselongue. Alle haben deutlich bessere Tage gehabt. Der Couchtisch klebt. Überall weiße Ränder vom Desinfektionsspray. Das Zimmer ist eher oberflächlich für den ersten guten Eindruck gesäubert worden. Die Schiebetür zwischen Wohnraum und Schlafzimmer klemmt. Ein Schreibtisch plus Stuhl. Ein Wasserkocher. 3 Dosen Chlortabletten für die Toilettenspülung, zu benutzen bei jedem Besuch des stillen Örtchens. 4 Rollen Klopapier. Ein Stück Seife. Je zwei große und kleine Handtücher. Mülltüten. 3 Pack Papiertaschentücher. Ein Kühlschrank – leer. Fenster können ein bisschen geöffnet werden – Frischluft ahoi. Ein Segen. Der Blick aus den Fenstern im 11. Stock ist trüb, eine große Straßenkreuzung, eine Hochstraße dazu und graue Hochhäuser auf der anderen Straße. Das Bett groß, weisse gebügelte Bettwäsche, die Matratzen laden nicht zum gemütliche Liegen ein, bretthart.

Realer Kontakte nach draussen

Für 2 Wochen waren wir dort eingesperrt, ein Entkommen nicht möglich, auch nicht mal eben über den langen Korridor sprinten, um mal die Beine aus einem Dauerschlafmodus zu bekommen. Jeden Tag für 14 Tage klopft es morgens und abends an der Tür. Ein weisser Marsmensch (genau so wie wir sie gerade bei den Olympiaübertragungen sehen) steht vor uns mit dem elektronischen Temperaturmesser. Volle Montur. Wir hechten schnell hin und strecken die Hand vor. Kommunikation eher wenig. Es ist vielleicht ein nîhâo – Hallo – und ein xièxie – Danke – . Wenn es ein netter Marsmensch ist, dann kommt ein bùkèqì hinterher – da nicht für. So schnell sie kommen sind sie auch wieder weg und klopfen an der nächsten Tür. Zusätzlich haben wir an Tag 4, Tag 7, Tag 11 und Tag 13 beim Marsmännchen an der Tür einen Coronatest gemacht. Nase und Rachen. Dabei haben wir genau aufgepasst, dass auf dem kleinen Röhrchen, wo die Teststäbchen reingesteckt wurden, auch tatsächlich unser Name drauf steht mit unserer Reisepassnummer. Morgens, mittags und abends gab es Essen, ein kleines Klopfen an der Tür signalisierte, auf dem kleinen Tischchen vor der Tür ist eine Plastiktüte mit zwei mal Essen. Zu geniessen war das Essen allerdings bis auf die Spaghetti nicht wirklich.

Virtueller Kontakt nach draussen

Eine liebe Person vor Ort hat uns zum Glück fast täglich mit tollen Carepaketen versorgt. Brot, Butter, Aufschnitt, Früchte, Müsli, Milch, Kekse. Sehr geschickt hat sie die Dinge verpackt, so ein bisschen Schmuggeln war von Nöten. Die Kaffeemaschine hat intensive Diskussionen beim Personal ausgelöst, aber die Verhandlungen liefen gut für uns und der Kaffee hat uns jeden morgen wach werden lassen.
Natürlich haben Freunde in Shanghai sich um uns gekümmert, immer wieder nette Nachrichten oder Anrufe und das Countdown zählen haben wir gemeinsam gefeiert.

Unsere Kinder haben uns sicherlich 50 mal angerufen, das war schön! Manche Gespräche mit Freunden waren für beide Seiten ein Augenöffner: „Ach so, ihr habt gar keine Minibar?“ … “ Nein“ … „Ihr bekommt wirklich keine neuen Handtücher in 14 Tagen und keine neue Bettwäsche? Da würde ich mich mal beschweren!“ … „Nein, das lassen wir lieber!“ … „Ach, ihr könnt nicht vor die Tür, hier in Deutschland machen das viele, zumindest nachts mal die beide vertreten!“ … “ Nein, hier sind überall Kameras und wir sind ja nicht zu hause!“ … „Könnt ihr nicht Zimmerservice ordern?“ … “ Nein, dies ist ein Quaranränehotel, es hat mit einem Hotel nichts zu tun!“

Germans stranded outside of SH

Das Pendant zu WhatsApp ist in China WeChat. Dies ist das zentrale Kommunikationsmedium, privat wie beruflich. Eine für deutschsprachige Expats lebensnotwendige Gruppe heisst: Germans stranded outside of SH. Hier sind während meiner 2 Wochen die Nachrichten im Sekundentakt gekommen. Die sowieso schon sehr wenigen Flüge aus Deutschland von Lufthansa und China Eastern drohten einer ums andere gestrichen zu werden. Die chinesische Flugaufsicht zählt die Menge an positiven Fällen, die eine Flugverbindung ins Land bringt, bei 5 akkumulierten Fälle wird diese Verbindung für 2 oder 4 Wochen gestrichen. Die Buchungen werden storniert, der Fluggast muss sich einen neuen Flug suchen. Da alle Flüge bis August sowieso schon hoffnungslos ausgebucht sind, stranden eben viele in Deutschland. Daher der Name dieser Gruppe. Schicksale und Verzweiflung gepaart mit Wut, Resignation und Hilflosigkeit lassen alle Gruppenmitglieder zusammenrücken. Alle versuchen zu helfen, zu trösten. Manch einer hat schon Flustornierungen zwei mal erlebt, das 3 Monatsvisum ist abgelaufen. Hier heisst es dann ein neues Visum zu beantragen und auf einen positiven Bescheid zu hoffen. Und ein Start in China verzögert sich auf unbestimmte Zeit.
Die Deutsche Außenhandelskammer organisiert seit Ausbruch der Pandemie immer wieder Charterflüge nach Qingdao für Mitarbeiter von den Firmen, die Mitglieder der AHK sind. Die Quarantänehotels dort sind sehr ordentlich und direkt am Meer. Wer Glück hat bekommt ein Zimmer mit Blick aufs Meer und mit kleiner Terrasse. Dort müssen dann alle zur Zeit 3 Wochen ausharren. Aber viel glücklicher sind diejenigen, die einen Platz in den Fliegern bekommen. Es scheinen ausserplanmässig weitere Flüge angeboten zu werden. Die Verzweiflung ist groß bei denen, die gestrandet sind, verständlicherweise.

In der WeChat Gruppe kursierten auch Informationen zu den einzelnen Quarantänehotels und so haben ich auch meinen Input gegeben zu Quarantänehotel 45 im Stadtteil Pudong.

Die 3. Quarantänewoche zu Hause

Der Abtransport vom Quarantänehotel in unser Apartment lief aus chinesischer Sicht total schief. Der Bus war nicht da. Für uns herrlich, denn wir konnten uns draussen auf dem hermetisch abgesperrten Vorplatz des Hotels bewegen. Für eine Stunde sind wir in großen Schleifen hin und her gelaufen, ich kam auf 8000 Schritte. Luxus. Klar, die hätte ich im Hotelzimmer auch laufen können, aber wenn nach 7 Schritten das Zimmer endet ist es eher ein mühsames Unterfangen.

Ein großer Reisebus, zwei Marsmännchen, mein Mann und ich samt Kameraüberwachung. Der Concierge in unserem Compound wusste, dass wir kommen, unsere Koffer wurden desinfiziert, der Aufzug vor uns sicher auch nach unserer Benutzung auch. Und wieder Marsmännchen. Unsere Apartmenttür hatte schon einen kleinen Bewegungssensor. Die gefühlten 2 Stunden draussen waren vorbei. Die Tür schnappte ins Schloss. Wir waren zu Hause, raus durften wir nicht, unser Müll wurde von Spezialkräften jeden Morgen abgeholt und in gelbe Sondermüllsäcke für die Verbrennungsanlage gestopft. Das war das einzige, was aus der Wohnung gelagen durfte. Ein unterzeichnetes Dokument meines Mannes für seine Firma durfte unsere vier Wände nicht verlassen. Ein Virus kann überall hocken.

Frische Handtücher, duftende Bettwäsche, weiche Matratze, voller Kühlschrank, eigenes Sofa, Terrasse, Willkommensgeschenke von Kollegen und jede Menge Blumen. In China kursiert der Glaube, dass Deutsche nur Bier trinken … ein Korb mit 40 unterschiedlichen Flaschen lächelte uns auch an. Nach 2 Wochen leberfreundliches Leben ein herrlicher Geschmack. Kühles Bier – ja, einfach lecker.

Freiheit ist ein großes Gut

Ja, ich kann sagen, dass die Freiheit und das unbeobachtete Bewegen doch ein sehr hohes Gut ist. Natürlich haben wir die 3 Wochen überstanden. Natürlich war es nicht immer schrecklich. Natürlich haben wir nach 4 Wochen intensiven Weihnachtsferien die Ruhe auch genossen. Natürlich ist es nicht schlimm, für einige Zeit eher von Müsli und Brot sich zu ernähren. Natürlich sind 10 Stunden Netflix am Stück möglich und anstrengend. Natürlich sterbe ich nicht, wenn das Handtuch nach 10 Tagen stinkt. Aber es ist dennoch eine mentale Belastung und eine emotionale Herausforderung. Ich ziehe meinen Hut vor meinem Mann, der nun schon die 5. Quarantäne überstanden hat. Und es wird für uns nicht die letzte gewesen sein. Immerhin leben unsere Kinder und Eltern und Geschwister und Freunde alle in Europa. Und dort müssen wir hin und wieder hin und wir vergessen auch immer wieder schnell, was unsere Flugtickets so kosten. Wir können froh sein, dass wir welche bekommen und dank nicht nur der Germans stranded in SH sind wir immer auf dem Laufenden, wie sich die Flugsituation nach China gestaltet. Die Hoffnung auf bessere Zeiten besteht, wann das allerdings sein wird, mag keiner wirklich prognostizieren.

Wie immer freue ich mich über Kommentare und wer einen Einblick in meinen Alltag in Shanghai haben möchte, der kann gerne SHANGHAI.CALLING auf Instagram folgen!

Luise

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