Schlagwort: Comfortzone

Als Expatkind sich in Shanghai zurecht finden

Titelfoto 24. Blog

23. Blog am 4. November 2019

Seit fast 3 Monaten sind wir nun wieder eine Expatfamilie, die 9000 km von der Heimat entfernt wohnt. Zwei unserer Kinder sind in Europa geblieben und gehen auf eine Boarding Schule im Norden Schottlands. Der Älteste geht dort schon im dritten Jahr zur Schule und unsere Tochter seit 3 Monaten. Beide fühlen sich dort sehe wohl. Beide sind keine Kinder mehr, sondern Jugendliche oder vielleicht schon junge Erwachsene. Sie gehen ihren Weg nun meist alleine weiter. Sie kennen den Weg, denn wir sind mit ihnen diesen Weg 15 Jahre gemeinsam gegangen. Auf diesem Weg begegnet ihnen Selbständigkeit, Verantwortung, Familienbande, soziale Fürsorge, Engagement für andere, Sport und die Neugierde für Neues, was nicht in der Comfortzone zu finden ist. Das ist nicht immer leicht für die Kinder und für uns als Eltern. Sie sind aber am perfekten Ort, um diese „OCE – out of classroom education“ in einer internationalen Umgebung zu lernen. Ich gebe zu, dass ich auch gerne noch einmal 15 wäre und diese Erfahrung gerne gemacht hätte. Es war eine andere Zeit und ich habe mein Großwerden in meiner kleineren Welt genossen.

Third Culture Kids – TCK

Unsere 12 jähringen Zwillingssöhne Johann und Philipp sind mit uns nach Shanghai gekommen. Sie werden nun als Third Culture Kids – TCK – tituliert. Warum heisst es nun third culture Kids? Die beiden haben 11 Jahre ihres Lebens in ihrem Heimatland gelebt, in Deutschland als Deutsche mit ihrem deutschen Eltern. Dies ist die sogenannte First Culture. Nun leben die beiden in einem Land, das sie nicht kennen und vollkommen neu für sie ist. Das ist die Second Culture. Beide wachsen jetzt in einer Mischung aus beiden Kulturen auf, jedne, die wir ihnen als Eltern vorleben und die sie gewohnt sind und jene auf die sie nun treffen. Und eben jene Mischung ist nun die Third Culture. Es gibt viel Literatur über das Dasein der Third Culture Kids, ein sicherlich nicht einfaches Thema.

Sorge um das Einleben der Kinder

Mit dem Moment der Entsendung meines Mannes nach China haben wir Eltern uns Gedanken darüber gemacht, wie wir den „Kleinen“ das Einleben in einer vollkommen anderen Kultur und einer anderen Schule erleichtern können. Die Wahl der Schule fiel auf die British International School of Shanghai.
Zwei Gedanken kamen mir. Lernen über die Kultur und mehr Vertrauen finden in der englischen Sprache. Einen ganzen Tag lang haben sich die Kinder auf die Chinesische Kultur vorbereitet. Das ist nicht viel, aber ein paar Gepflogenheiten, Informationen über Land und Leute und vor allem wie Kinder dort groß werden haben sie gelernt. Das Leben der Kinder in China ist geprägt von Lernen, Lernen und nochmals Lernen. Das „Spielen am Nachmittag mit den Schulkameraden“ kam hier nicht vor. Dies zeigt sich nun tatsächlich hier im Alltag.
Noch wichtiger empfanden wir Eltern das sicherere Umgehen mit Englisch, denn es war uns klar, dass dies ihre Alltagssprache werden würde. Eine Englischlehrerin kam einmal in der Woche und hat mit ihnen das Englisch-Sprechen geübt. Das fällt in deutschen Schulen vollkommen hinten runter, vielleicht weil die Klassen zu groß sind und der einzelnen Schüler zu wenig Möglichkeit hat das Erlernte mal auszusprechen oder weil der Fokus zu sehr auf die Grammatik gesetzt wird. Ich weiss es nicht. Rückblickend war das die beste Investition! Die beiden kamen hier in der Britischen Schule an und haben einfach den Mund aufgemacht und gesprochen, wie ihnen der Schnabel gerade nach war. Holprig manchmal, zum lachen komisch und nach 3 Monaten wechseln sie zwischen den Sprachen ohne jede Mühe.

Mitspracherecht? – Fehlanzeige!

Dein Zuhause zu verlassen ist schon für uns als Erwachsene nicht leicht. Viele Familien wagen erst gar nicht den Schritt, sondern lehnen eine Entsendung ins Ausland ab, weil sie viele gute Gründe für sich finden, um es nicht zu tun. Das ist auch vollkommen in Ordnung. Kinder haben keine Wahl, sie haben kein wirkliches Mitspracherecht, auch wenn wir ihnen es suggeriert haben. Sie folgen den Eltern und müssen sich mit der Entscheidung, dass sie nun wegziehen, dass sie nun Deutschland verlassen, dass sie nun kein Fussball mehr bei TUS Wackerheim mehr spielen können, dass sie den besten Freund Marc verabschieden müssen, abfinden. Das war nicht leicht und ist es auch nach 3 Monaten nicht. So war für mich als Mutter die Herausforderung extrem groß, dass die beiden sich hier gut einleben.

Wahl der Schule – ein Glücksgriff!

Gute ankommen, sich schnell wohlfühlen, Freunde finden – das sind sicher 3 wichtige Punkte. Da die Kinder den ganzen Tag in der Schule sind, war der Dreh- und Angelpunkt für die beiden ihre Schule. Die Entscheidung für eine Britische Schule war lange gefällt, jedoch kommen natürlich immer Gedanken, ob die beiden es schaffen würden. Beide sind verteufelt vom lieben Gott mit einer Lese-Rechtschreib-Schwäche. So hatten wir in Kasse 5 und 6 auch sehr damit zu kämpfen und haben alles versucht, Tränen liefen dennoch und die Kooperation von Lehrern, das Bestmögliche für die beiden zu finden, blieb immer wieder aus und bei uns Eltern entstand ungläubiges Staunen.

Die britische Schule ist sicherlich fokussiert auf ausländische Kinder, auf die third culture kids. Dennoch kommen auch viel Chinesische Kinder auf die Schule, wobei hier ein Elternteil ausländisch sein muss. Die Schule ist voller unterschiedlicher Nationalitäten und der Anfang war geprägt von freundlichen Lehrern, guter Organisation und überall helfenden Händen. Schuluniform war auch schnell gekauft und eine Identifikation mit der Schule dadurch sehr schnell gegeben. Dies hätte ich nicht gedacht. Aussehen wie alle und nicht erst abwägen müssen, was cool ist und was an Klamotte bei den neuen Klassenkameraden ankommt. Nein, alle haben eine graue Hose an und alle ein weißes Hemd und alle schwarze Socken und alle schwarzen Schuhe und alle eine Schulkrawatte. Keine Ausnahme! Nicht auffallen durch uncoole Klamotten – wie super ist das bitte!!

Jeden Morgen ist Abfahrt mit dem Schulbus um 7:24 Uhr. Keine Ausnahme. Rückkehr 16:30 Uhr oder 17:30 Uhr, abhängig von den ECAs. ECAs sind Extra Curriculum Activities, die sich die Kinder aus einer lange Liste aussuchen können. Die Wahl fiel auf Fussball, Leichtathletik beim Olympiasieger, Chinesischer Kochkurs, Junior Enterprise. So sind die Tage gefüllt, lang, anstrengend und danach sind noch Hausaufgaben. Eine Herausforderung.

Warum machen die Kinder das mit?

Die Schule schafft es, mit kleine Dingen meine Kinder für die Schule zu begeistern. Sie arbeiten mit kleinen iPads, sie bekommen die Hausaufgaben per email, die Eltern auch. Sie bearbeiten Aufgaben auf dem iPad, es gibt extra Übungen mit direkter Kontrolle. Die Schule hat ein Belohnungssystem, für gute Mitarbeit gibt es einen Aufkleber, für gute Hausaufgaben gibt es Aufkleber, die werden gesammelt im Hausaufgabenheft. Die Fürsorge für die Kinder ist da und auch die LRS der Kinder wurde mit in ihren Lehrplan mit aufgenommen, extra Zeit bei Test ist keine Schwierigkeit. Und auch der Umgang unter den Kinder ist nett, auch wenn es manchmal raffig zu geht, der Ton ist an der Schule wichtig! Die Schule hat eine eigene Schul-App, eine Erleichterung für alle und bietet ein enorme Transparenz.

Meine Kinder hatten Schulpaten, die sich in den erstem Wochen um die beiden gekümmert haben. Bei Philipp ist daraus auch eine tolle Freundschaft entstanden, auch ein Philipp und auch Fussballfreak. Sicher von der Schule im Vorfeld gut gewählt! Johanns bester Freund ist halb Portugiese, halb Brasilianer, hat schon in 5 Ländern gelebt und ist Diplomatenkind. Eine intensive Freundschaft, wie ich sie nach 3 Monaten nicht erwartet habe und die sicher ein Leben lang halten wird. Welch Glück!

Die Kinder gehen gerne in die Schule — ja, gerne! Beide haben nach 6 Wochen ein Zwischenzeugnis erhalten, wo eines nur aus As bestand und das andere aus meist As und ein paar Bs. Wahnsinn! Johann hat sogar eine „Prinzipal´s Commendation for outstanding academic effort in August and September“ – vieles habe ich mir vorgestellt, das nun wirklich nicht! Was macht die Schule anders? Es ist mit Sicherheit eine Kombination aus Internationalität der Kinder, besondere Fürsorge und die totale Begeisterung der Kinder für die Fächer gepaart mit einem einfachen Belohnungssystem. Ich will nicht verschweigen, dass es eine Privatschule ist, aber auch diese müssen es erstmal schaffen, Kinder richtig zu unterrichten und für das Lernen zu begeistern.

Mamas Fürsorge

Meine Fürsorge besteht darin, für die beiden nach einem langen Schultag da zu sein, zuzuhören und bei den Hausaufgaben zu helfen. Oftmals warten die beiden auf Papi, der auch gerne hilft und ihnen ein sicherer Hafen ist.
Es musst duften, wenn sie durch die Haustür im 36.Stock platzen. Kuchen, Quiche, Pizza, Pfannkuchen, Würstchen, Dumplings, Sandwich — irgendwas muss zum sofortigen Verzehr da stehen, sonst habe ich schlechte Karten! Das mache ich natürlich gerne, ein gemeinsames Mittagessen wie in Deutschland fällt ja weg, so gibt es ein frühes Abendbrot, das dann um 20 Uhr nochmal wiederholt wird.

Freunde in Deutschland

Die Freundschaften in Deutschland bestehen natürlich weiterhin, wie ich vermutete sind es bei jedem 2 Freunde, die den Kontakt halten, denn oftmals ist das „aus dem Auge aus dem Sinn“ bei Kindern schnell gelebt. Der nächste Deutschland Besuch der beiden wird erst im Dezember sein, dann werde sie sicher ihre Freunde treffen und von China berichten.

Dankbarkeit

Ich kann gar nicht so richtig in Worte fassen, wie dankbar ich bin, dass unsere beiden kleinen Expatkids so gut in China angekommen sind und sie keinen Tag bisher geweint haben und dass sie auch nicht jammern, sie wollten zurück. Es ist für beide ein neuer Lebensabschnitt, den sie als Zwillingsbrüder gemeinsam gehen und der sie gemeinsam stark macht.

Heut morgen sind ihre beiden großen Geschwister nach 2 Wochen Ferien wieder zurück nach Schottland geflogen. Die vier Geschwister sind ein gute Team, jeder hat seine Stellung, der große aus Vorreiter, die Schwester als mutige neue Internatlerin und die Zwillinge als Team und manchmal als duo infernale, das auf die beiden großen heraufblickt und sie vermisst haben.

Es klingt so leicht und dennoch ist es eine Herausforderung vier glückliche, zufriedene, gesunde und offene Kinder zu haben.

Liebe Grüße – ich habe erstaunlicherweise beim Abschied der Schotten nicht geweint. Auch ich werde groß!

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Hier meine letzten fünf Blogbeiträge:

Facebook und das Expatleben

Mein 12. Blog am 18. Januar 2019

Digitale Medien können schon ziemlich viel Zeit rauben und Dich in den Bann ziehen. Und hinterher sagst Du dir: Was ein Mist, jetzt habe ich so viel Zeit damit verbracht und habe keinen wirklichen Mehrwert daraus. Dies habe ich so gut wie abgelegt. Ich gebe zu, dass es manchmal auch ganz spaßig ist, sich unnötige Videos anzuschauen oder darüber zu schmunzeln, wer gerade wo an welchem Flughafen ist und in welchem Restaurant in Pusemuckel ein Menue bestellt hat. Das gehört dann in die Kategorie Relaxen. 

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Das Abenteuer Shanghai

Mein sechster Blog am 21.Oktober 2018

2 Wochen war ich nun mit meiner Familie unterwegs und wir haben gemeinsam unser Abenteuer China vorangetrieben. Unsere dritte Auslandsstation beginnt, Form anzunehmen. Die Italienzeit von 1999-2003 ohne Kinder war ein Leichtes und die Mexikozeit von 2005-2008 haben wir als große erste Herausforderung in unserer jungen Ehe angesehen. Mit zwei Kindern hin und mit vier Kindern zurück. Mit einem Container hin und mit drei Containern zurück. Die Comfortzone hatten wir verlassen und es nicht bereut. Diese Erfahrung hilft uns nun, das Projekt Shanghai zu nehmen und es in vielerlei Hinsicht gelassener zu sehen. Es wird schon irgendwie.

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Die Comfortzone verlassen

Der dritte Blog am 27. September 2018

Glaubt mir, es fällt mir nicht immer leicht, mich an den Gedanken zu gewöhnen, dass ich im nächsten August hier die Koffer gepackt habe und erstmal die Tür hinter mir zu mache und alles, was ich in den letzten 10 Jahren seit unserer Rückkehr von 3 Jahren Mexiko-City aufgebaut habe, hinter mir lassen werde. Ich werde Dinge vermissen. Es ist der Rhythmus des Alltages, die allzu gewohnten Touren durch die Stadt, das regelmäßige Treffen der Freundinnen, der Freunde, der Familie und die langen Spaziergänge mit unserem Hund Frida in den Weinberge. Es sind die Einkäufe beim Bäcker, die Lieferung von frischer Milch und Joghurt aus dem Hunsrück direkt an die Haustür und es ist der nette Paketbote, mit dem ich immer wieder einen netten Schnack halte. Es ist die liebe Nachbarin, bei der ein Schlüssel vom Haus hinterlegt ist und der immer wieder von mir und den Kindern auf Funktionstüchtigkeit getestet wird. Es ist das Türklingeln mittags um eins, wenn die Kinder voller Hunger nach Hause kommen, den Ranzen in den Eingang pfeffern und in den Kochtopf schauen in der Hoffnung, dass es wieder Nudeln gibt. Es ist das Fahren jeden Donnerstag nach Mainz, wo meine Zwillinge mit Hilfen von zwei unglaublich lieben Lehrerinnen versuchen, nicht an ihrer LRS Schwäche zu verzweifeln. Und es ist so vieles mehr. Ich kann sagen, dass es schade ist. Ja, ich bewege mich in einer recht guten Comfortzone, alles läuft soweit, ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht und liebe ihn, habe hier nette Kunden und es werden stetig mehr.

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Das Expatleben ruft – zum dritten mal!

Mein erster Blog am 12. September 2018

Seit gestern ist es nun offiziell. Ich werde mich mit meiner Familie in 2019 noch einmal auf ein großes Abenteuer stürzen. Nach 5 Jahren in Italien und 3 Jahren in Mexiko werde ich mich mit meinem Mann und mindestens 2 meiner vier Kinder gen Osten aufmachen und China für die nächsten 3-4 Jahre unser Zuhause nennen. Ich ziehe in die Weltmetropole Schanghai und finde es wahnsinnig spannend. Es ist ein Land voller Gegensätze und ein Land voller spannender Orte, die es zu entdecken und zu bereisen gilt. Es wird definitiv anders sein als das 26.000 Einwohner zählende Ingelheim am Rhein, das im wunderschönen Rheinhessen liegt mit Weinbergen, Winzern und altem Fachwerkhaus, mit kleinen Weinschänken, schönen Fahrradwegen und Kerbfesten in jedem Dorf. Dies habe ich die letzen 10 Jahre erlebt und genossen, habe unsere Kinder groß gezogen und habe sie zur Selbständigkeit ermutigt, habe ihnen die Welt gezeigt und ihnen immer empfohlen, über den Tellerrand hinaus zu schauen. Der Tellerrand ist nun erstmal weit weg, der Weg aus der Comfortzone muss gewagt werden, aber ich bin mir sicher, es ist ein toller Weg und es ist eine Bereicherung fürs Leben.

Wahrscheinlich werde ich dann meiner Leidenschaft – der Golffotografie – erstmal nicht so wirklich nachgehen können, aber ich werde sicher andere neue Möglichkeiten für mich entdecken. Ein eigener Bildband über das Leben in Schanghai? Einen eigenen Blog? Ein Erfahrungsbericht schreiben und dabei das Leben der 1,4 Milliarden Chinesen mit meiner Kamera einfangen? Oder nochmal an eine Universität gehen? Nochmal etwas neues lernen? Mit 46 ist das nicht zu spät, um seinen Wissenhorizont zu erweitern  und die Neugierde für anderes zu stillen? Ja, so kann es sein!

Ich habe in den Jahren eine recht ordentliche Fotoausrüstung mir angeschafft, ich werde alles mitnehmen und sehe mich schon mit Fototasche durch das pulsierende Schanghai schlendern und den Finger nicht vom Auslöser nehmen.

Ich entdecke täglich neues – Fotoausstellungen, Fotomuseen, Fotokünstler – alles werde ich entdecken. Und das schöne dabei ist, dass Schanghai eine sichere Stadt ist und ich keine Angst um mich haben muss, wenn ich eben auch mal allein auf Entdeckungsreise in der Stadt gehe. Das wäre in Mexiko-City nun wirklich nicht möglich gewesen.

Annehmlichkeiten musst Du auch einfach nutzen und so wird mein Mann einen Chauffeur bekommen, der natürlich auch für mich und die Kinder da sein wird. Sofern ich mich mit ihm verständigen kann, werde ich ihn zu Touren mitnehmen.