Schlagwort: Quarantäne

Freiheit ist schon was schönes

The Bund Shanghai

38. Blog am 15. Februar 2022

Ich war noch nie in meinem Leben 3 Wochen eingesperrt. 2 Wochen in einem Hotel und eine Woche zu Haus. Kein Entkommen. Auch nicht mal eben kurz raus. Es ist eine Erfahrung, die man eigentlich nur macht, wenn Du etwas Schlimmes gemacht hast und das Recht spricht. Jedoch, wenn Du zur Zeit nach China möchtest, ist das die Pflicht, die du erfüllen musst, damit du wieder dort ankommst, wo du als Expat nun einmal gerade lebst.

Olympia in Peking

Zur Zeit bekommt die Welt etwas detaillierter die chinesische Gangart mit, denn es sind Olympische Spiele in Peking und der ein oder andere Athlet oder Funktionär muss sich unverzüglich in ein Quarantäne Hotel bewegen, wenn ein positiver Covid Befund vorliegt. Das ist kein Spaß, denn es ist kein Hotel mit gefüllter Minibar, täglich frischen Handtüchern oder gutem Essen und vor allem für die Sportler ausreichend Möglichkeiten, sich fit zu halten und das Hoffen, bald ins Olympische Geschehen doch noch eintreffen zu können.

Unsere Quarantäne im Hotel

Mein Mann und ich hatten das Glück, dass wir zusammen in ein Quarantäne-hotelzimmer für die 14 Tage gehen konnten. Eine kleine Suite. Alles schon ziemlich abgewohnt. Ein Sofa, zwei Sessel, eine Chaiselongue. Alle haben deutlich bessere Tage gehabt. Der Couchtisch klebt. Überall weiße Ränder vom Desinfektionsspray. Das Zimmer ist eher oberflächlich für den ersten guten Eindruck gesäubert worden. Die Schiebetür zwischen Wohnraum und Schlafzimmer klemmt. Ein Schreibtisch plus Stuhl. Ein Wasserkocher. 3 Dosen Chlortabletten für die Toilettenspülung, zu benutzen bei jedem Besuch des stillen Örtchens. 4 Rollen Klopapier. Ein Stück Seife. Je zwei große und kleine Handtücher. Mülltüten. 3 Pack Papiertaschentücher. Ein Kühlschrank – leer. Fenster können ein bisschen geöffnet werden – Frischluft ahoi. Ein Segen. Der Blick aus den Fenstern im 11. Stock ist trüb, eine große Straßenkreuzung, eine Hochstraße dazu und graue Hochhäuser auf der anderen Straße. Das Bett groß, weisse gebügelte Bettwäsche, die Matratzen laden nicht zum gemütliche Liegen ein, bretthart.

Realer Kontakte nach draussen

Für 2 Wochen waren wir dort eingesperrt, ein Entkommen nicht möglich, auch nicht mal eben über den langen Korridor sprinten, um mal die Beine aus einem Dauerschlafmodus zu bekommen. Jeden Tag für 14 Tage klopft es morgens und abends an der Tür. Ein weisser Marsmensch (genau so wie wir sie gerade bei den Olympiaübertragungen sehen) steht vor uns mit dem elektronischen Temperaturmesser. Volle Montur. Wir hechten schnell hin und strecken die Hand vor. Kommunikation eher wenig. Es ist vielleicht ein nîhâo – Hallo – und ein xièxie – Danke – . Wenn es ein netter Marsmensch ist, dann kommt ein bùkèqì hinterher – da nicht für. So schnell sie kommen sind sie auch wieder weg und klopfen an der nächsten Tür. Zusätzlich haben wir an Tag 4, Tag 7, Tag 11 und Tag 13 beim Marsmännchen an der Tür einen Coronatest gemacht. Nase und Rachen. Dabei haben wir genau aufgepasst, dass auf dem kleinen Röhrchen, wo die Teststäbchen reingesteckt wurden, auch tatsächlich unser Name drauf steht mit unserer Reisepassnummer. Morgens, mittags und abends gab es Essen, ein kleines Klopfen an der Tür signalisierte, auf dem kleinen Tischchen vor der Tür ist eine Plastiktüte mit zwei mal Essen. Zu geniessen war das Essen allerdings bis auf die Spaghetti nicht wirklich.

Virtueller Kontakt nach draussen

Eine liebe Person vor Ort hat uns zum Glück fast täglich mit tollen Carepaketen versorgt. Brot, Butter, Aufschnitt, Früchte, Müsli, Milch, Kekse. Sehr geschickt hat sie die Dinge verpackt, so ein bisschen Schmuggeln war von Nöten. Die Kaffeemaschine hat intensive Diskussionen beim Personal ausgelöst, aber die Verhandlungen liefen gut für uns und der Kaffee hat uns jeden morgen wach werden lassen.
Natürlich haben Freunde in Shanghai sich um uns gekümmert, immer wieder nette Nachrichten oder Anrufe und das Countdown zählen haben wir gemeinsam gefeiert.

Unsere Kinder haben uns sicherlich 50 mal angerufen, das war schön! Manche Gespräche mit Freunden waren für beide Seiten ein Augenöffner: „Ach so, ihr habt gar keine Minibar?“ … “ Nein“ … „Ihr bekommt wirklich keine neuen Handtücher in 14 Tagen und keine neue Bettwäsche? Da würde ich mich mal beschweren!“ … „Nein, das lassen wir lieber!“ … „Ach, ihr könnt nicht vor die Tür, hier in Deutschland machen das viele, zumindest nachts mal die beide vertreten!“ … “ Nein, hier sind überall Kameras und wir sind ja nicht zu hause!“ … „Könnt ihr nicht Zimmerservice ordern?“ … “ Nein, dies ist ein Quaranränehotel, es hat mit einem Hotel nichts zu tun!“

Germans stranded outside of SH

Das Pendant zu WhatsApp ist in China WeChat. Dies ist das zentrale Kommunikationsmedium, privat wie beruflich. Eine für deutschsprachige Expats lebensnotwendige Gruppe heisst: Germans stranded outside of SH. Hier sind während meiner 2 Wochen die Nachrichten im Sekundentakt gekommen. Die sowieso schon sehr wenigen Flüge aus Deutschland von Lufthansa und China Eastern drohten einer ums andere gestrichen zu werden. Die chinesische Flugaufsicht zählt die Menge an positiven Fällen, die eine Flugverbindung ins Land bringt, bei 5 akkumulierten Fälle wird diese Verbindung für 2 oder 4 Wochen gestrichen. Die Buchungen werden storniert, der Fluggast muss sich einen neuen Flug suchen. Da alle Flüge bis August sowieso schon hoffnungslos ausgebucht sind, stranden eben viele in Deutschland. Daher der Name dieser Gruppe. Schicksale und Verzweiflung gepaart mit Wut, Resignation und Hilflosigkeit lassen alle Gruppenmitglieder zusammenrücken. Alle versuchen zu helfen, zu trösten. Manch einer hat schon Flustornierungen zwei mal erlebt, das 3 Monatsvisum ist abgelaufen. Hier heisst es dann ein neues Visum zu beantragen und auf einen positiven Bescheid zu hoffen. Und ein Start in China verzögert sich auf unbestimmte Zeit.
Die Deutsche Außenhandelskammer organisiert seit Ausbruch der Pandemie immer wieder Charterflüge nach Qingdao für Mitarbeiter von den Firmen, die Mitglieder der AHK sind. Die Quarantänehotels dort sind sehr ordentlich und direkt am Meer. Wer Glück hat bekommt ein Zimmer mit Blick aufs Meer und mit kleiner Terrasse. Dort müssen dann alle zur Zeit 3 Wochen ausharren. Aber viel glücklicher sind diejenigen, die einen Platz in den Fliegern bekommen. Es scheinen ausserplanmässig weitere Flüge angeboten zu werden. Die Verzweiflung ist groß bei denen, die gestrandet sind, verständlicherweise.

In der WeChat Gruppe kursierten auch Informationen zu den einzelnen Quarantänehotels und so haben ich auch meinen Input gegeben zu Quarantänehotel 45 im Stadtteil Pudong.

Die 3. Quarantänewoche zu Hause

Der Abtransport vom Quarantänehotel in unser Apartment lief aus chinesischer Sicht total schief. Der Bus war nicht da. Für uns herrlich, denn wir konnten uns draussen auf dem hermetisch abgesperrten Vorplatz des Hotels bewegen. Für eine Stunde sind wir in großen Schleifen hin und her gelaufen, ich kam auf 8000 Schritte. Luxus. Klar, die hätte ich im Hotelzimmer auch laufen können, aber wenn nach 7 Schritten das Zimmer endet ist es eher ein mühsames Unterfangen.

Ein großer Reisebus, zwei Marsmännchen, mein Mann und ich samt Kameraüberwachung. Der Concierge in unserem Compound wusste, dass wir kommen, unsere Koffer wurden desinfiziert, der Aufzug vor uns sicher auch nach unserer Benutzung auch. Und wieder Marsmännchen. Unsere Apartmenttür hatte schon einen kleinen Bewegungssensor. Die gefühlten 2 Stunden draussen waren vorbei. Die Tür schnappte ins Schloss. Wir waren zu Hause, raus durften wir nicht, unser Müll wurde von Spezialkräften jeden Morgen abgeholt und in gelbe Sondermüllsäcke für die Verbrennungsanlage gestopft. Das war das einzige, was aus der Wohnung gelagen durfte. Ein unterzeichnetes Dokument meines Mannes für seine Firma durfte unsere vier Wände nicht verlassen. Ein Virus kann überall hocken.

Frische Handtücher, duftende Bettwäsche, weiche Matratze, voller Kühlschrank, eigenes Sofa, Terrasse, Willkommensgeschenke von Kollegen und jede Menge Blumen. In China kursiert der Glaube, dass Deutsche nur Bier trinken … ein Korb mit 40 unterschiedlichen Flaschen lächelte uns auch an. Nach 2 Wochen leberfreundliches Leben ein herrlicher Geschmack. Kühles Bier – ja, einfach lecker.

Freiheit ist ein großes Gut

Ja, ich kann sagen, dass die Freiheit und das unbeobachtete Bewegen doch ein sehr hohes Gut ist. Natürlich haben wir die 3 Wochen überstanden. Natürlich war es nicht immer schrecklich. Natürlich haben wir nach 4 Wochen intensiven Weihnachtsferien die Ruhe auch genossen. Natürlich ist es nicht schlimm, für einige Zeit eher von Müsli und Brot sich zu ernähren. Natürlich sind 10 Stunden Netflix am Stück möglich und anstrengend. Natürlich sterbe ich nicht, wenn das Handtuch nach 10 Tagen stinkt. Aber es ist dennoch eine mentale Belastung und eine emotionale Herausforderung. Ich ziehe meinen Hut vor meinem Mann, der nun schon die 5. Quarantäne überstanden hat. Und es wird für uns nicht die letzte gewesen sein. Immerhin leben unsere Kinder und Eltern und Geschwister und Freunde alle in Europa. Und dort müssen wir hin und wieder hin und wir vergessen auch immer wieder schnell, was unsere Flugtickets so kosten. Wir können froh sein, dass wir welche bekommen und dank nicht nur der Germans stranded in SH sind wir immer auf dem Laufenden, wie sich die Flugsituation nach China gestaltet. Die Hoffnung auf bessere Zeiten besteht, wann das allerdings sein wird, mag keiner wirklich prognostizieren.

Wie immer freue ich mich über Kommentare und wer einen Einblick in meinen Alltag in Shanghai haben möchte, der kann gerne SHANGHAI.CALLING auf Instagram folgen!

Luise

Nach 591 Tagen wieder in meiner Wahlheimat

36. Bloggeitrag am 28. September 2021

Nach 591 Tagen schreibe ich einen Shanghai-Calling Blog wieder aus meiner Wahlheimat Shanghai. Ich sitze in meinen Lieblingscafé Baker & Spice in der Anfu Lu, nicht weit von unserem Apartment entfernt. Das Café ist beliebt bei Expats, denn hier im Stadtteil der ehemaligen French Concession leben viele Expats. An einem langen Tisch sitze ich, viele Laptops sind geöffnet und es herrscht Arbeitsatmosphäre. Das finde ich gut. Weit und breit sind aber keine Expats oder ausländische Gesichter zu sehen. Ein ungewohntes Bild. Ist es nur Zufall oder liegt es an der Pandemie? Ich bin unsicher.

Hinter mir liegt eine lange, durstige und steinige Strecke, die geprägt ist von Trennung, die durch die Pandemie ausgelöst wurde und die ich niemandem wünsche. Wir als sechsköpfige Familie haben uns da durchgekämpft und heute kann ich sagen, daß es allen gut geht.
Alle Kinder sind in Europa und sind happy dort, wo sie sind. Kinder happy, Eltern happy. So ist es doch.
Mein Mann und ich starten also in das Abenteuer, das da heisst: Gemeinsam zurück nach Shanghai. Nach fast 600 Tagen.
Gerne berichte ich nun, wie es so läuft, nach China einzureisen. Es ist ein langes hin und her bei den Behörden in Shanghai, wie unsere 14tägige Quarantäne aussehen soll. Schnell ist klar, dass wir eine komfortable Quarantäne gemeinsam in unserem Apartment nicht machen können. Das Hin und Her, ob es eine gemeinsame Quarantäne in einem Hotel werden kann, zehrt an den Kräften, normalerweise ist es nicht gestattet. Wir bekommen grünes Licht und landen in einer Suite eines alten Hotels, das von der chin. Regierung komplett zu einem Quarantänehotel umfunktioniert wurde.

Der Weg bis ins Hotel

Zur Zeit fliegt die Lufthansa 2 mal in der Woche nach Shanghai, mehr lässt die chin. Regierung nicht zu. Normalerweise fliegt Lufthansa jeden Tag von Frankfurt und von München nach Shanghai. So sind die Plätze im Flieger begehrt für diejenigen, die überhaupt ins Land dürfen. Wer kein gültiges Visum hat muss auf unbestimmte Zeit warten. Diese Hürde nehmen wir galant und sehr zeitig haben wir gebucht. Den weiteren Dokumentenaustausch, der erfragt und erforderlich ist, bekomme ich nur am Rande mit. Es sind unzählige Papierstücke erforderlich, auch wenn die Behörden in China diese alle schon mehrfach unbeglaubigt und beglaubigt, in Original oder in Kopie haben. Sicher ist sicher.
Am Frankfurter Flughafen gibt es ein zertifiziertes Labor für Covid Tests, die von der chin. Regierung akzeptiert ist. Dort lassen wir einen PCR Test und einen Antikörper Bluttest machen. Das Personal dort ist ausserordentlich freundlich und es reicht sogar für ein kleines persönliches Gespräch. Es menschelt, das tut gut und der leitende Arzt dort wünscht uns für unsere Quarantäne in China alles Gute. Nett, einfach nett.

Mit dem Erhalt unserer negativen Testergebnisse laden wir diese und alle anderen notwendigen Dokumente in in einer Art Einreise App hoch und hoffen, dass die Chinesische Botschaft in Frankfurt uns grünes Licht für unsere Einreise erteilen. Spannung bei meinem Mann, denn er weiß, wenn das nicht klappt, haben wir ein echtes Problem. Er hat Kollegen stranden sehen und der Flieger war weg. Ich bin entspannter, hoffe aber insgeheim, dass ich nirgends einen Zahlen- oder Buchstabendreher beim Ausfüllen der App gemacht habe. Warten und dann: Hurra! Es klappt – wir haben die Erlaubnis! Unsere Health Declaration ist akzeptiert. Wir klicken in der Chinesischen ALIPAY App den Healthcode an und füllen dort wieder weitere Daten und Dokumente hoch. Nun brauchen wir den Status Grün. Es klappt bei meinem Mann, er ist da sicher geübter im Ausfüllen. Bei mir klappt es nicht, ich werde nervös, bin genervt, dass ich mir meine Reisepassnummer immer noch nicht merken kann und bin froh, dass ich die nun ruhigere helfende Hand meines Mannes habe. Ich bin überrascht, dass ich nicht entspannt bleibe, aber ich habe Respekt vor dem ganzen System in der Ferne. Ein Aufatmen bei mir, denn auch mein Healthcode ist grün. Ich gehe meine Koffer packen und schaue, dass ich für die kommenden 14 Tage im Hotel genug Bücher habe und lade nochmal ein paar Filme runter. Zwei Koffer sind schnell neben dem Bordkoffer und meiner Handtasche voll. Nix wichtiges für die nächsten 3 Monate darf fehlen.

Am Flughafen Frankfurt

Der Flughafen in Frankfurt ist am Abflugabend immer noch gespenstisch leer und das Einchecken dauert lange, denn nicht nur das Bodenpersonal beim Check in, sondern auch am Gate wollen Dokumente und vor allem den grünen Heathcode sehen. Keiner möchte Probleme mit den chin. Behörden haben. Es dauert alles lange, alle Passagiere sind geduldig. Der Flieger ist angeblich ausgebucht, jedoch um uns herum sind doch einige Plätze frei. Wir glauben, dass nicht alle die notwendigen Dokumente zusammentragen konnten und sie sind wohl am Flughafen gestrandet. Ich mache es mir in einem großen Sitz neben meinem Mann bequem, ziehe noch die Schuhe aus und falle ohne ein weiteres Wort mit ihm zu wechseln in einen komatischen Tiefschlaf. Nach 10 Stunden wache ich auf und bin längst im Himmel über China.

Am Flughafen Shanghai

Der Flughafen in Shanghai ist eigentlich immer voll oder übervoll, die internationalen Maschinen landen zeitgleich, so dass ein Gedränge herrscht, vor allem bei der Gepäckkontrolle. Es ist anders, es ist alles gespenstisch anders. Ich versuche nicht zu glotzen, sondern mich mit meinem Mann in die Schlange anzustellen, ein Dokument muss ausgefüllt werden, ich bin mir nicht sicher wofür, aber wir machen es wie alle anderen. Überall laufen Marsmännchen herum. sie sind im kompletter Schutzmontur, ein möglicher importierter Virus aus dem Ausland hat hier keine Chance. Wir haben den ersten Temperaturcheck und dann kommt der Scan mit dem grünen Healthcode. Wir fallen beide krachend durch.

Er hat gerade die 24 Stunden Gültigkeit verloren. Wir werden zur Seite geschoben, keiner spricht hier Englisch, mein Mann sagt: Schatz, nicht aufregen, wir müssen alles nochmal ausfüllen. Mir wird spontan echt heiss und ich tippe nervös meine Reisepassnummer, meine persönlichen Daten und lade Dokumente hoch. Es klappt wieder nicht und ich habe das Gefühl, dass ich hier gerade gerne mal weg möchte. Ich müsste eigentlich meine Reisepassnummer und meine Visanummer mittlerweile doch echt auswendig kennen, aber das Hirn streikt.

Der komische weiße Zettel in meiner Hand wird feucht. Plötzlich blinkt mich der grüne Healthcode an. Klasse. Es geht weiter durch den Parcours zur Passkontrolle. Der ausgefüllte Einreisezettel aus dem Flieger ist veraltet, wir müssen ihn nochmal ausfüllen. Augenrollen, aber nützt ja nix. Wieder Passnummer, wieder Visanummer, wieder nachschauen. Der Gesichtscheck klappt, ich bekomme den Einreisestempel China, Shanghai. Welcome back. Nach 577 Tagen. Hurra, ich küsse meinen Mann, setze aber schnell die FFP2 Maske wieder auf und folge ihm im weiteren Parcours. Laufen. Laufen. Brav sein. Wir landen beim PCR Test. Hals und Nase. Es tut weh. Die Wattestäbchen verschwinden tief in Mund und Nase.
Der Parcours führt uns zu den Koffern, alle da. Prima. Ab hier bekommen wir VIP Betreuung – ein Danke an das Team meines Mannes in Shanghai. Mr. Felix and wife werden schon erwartet. Panik steigt auf, denn unser Pass wird uns weggenommen, der weisse Zettel ist auch weg. Wir verstehen, dass wir das überlebenswichstigste Stück im Bus zum Quarantänehotel wiederbekommen werden. Ach, wird schon, denke ich. Ist ja VIP Betreuung. Den offiziellen Parcours verlassen wir und lernen einen schwedischen Geschäftsmann kenne, der auch VIP gebucht bekommen hat.

Wir drei landen in einem kleinen Bus, zwei Marsmännchen vorne. Zwischen uns eine dicke Folie zum Schutz vor Viren. Mit dem Schweden kommen wir sehr nett ins Gespräch, er hat die 14 Tage Quarantäne allein vor sich. Ich bin froh, dass ich gleich nicht allein weggesperrt werde.

Die Männer tauschen die WeChat Kontakte aus, wir vereinbaren, nach der Quarantäne ein Bier zusammen zu trinken. Positiv denken!

Das Quarantänehotel in Pudong

Es dauert nochmal eine lange Zeit bis wir im Wyndham Hotel durch den Lieferanteneingang einchecken. Hier empfängt uns ein freundliches weibliches Marsmännchen und sie fragt alles Wichtige nochmal ab und auch hier sind Passnummer und Visanummer von Nöten in einem weiteren digitalen Dokument. Wir geben fleissig alles wieder ein, auch wenn alle Daten längst bekannt sind. Frei nach dem Motto: Vertraue ist gut, Kontrolle ist besser.
Wie zu erwarten, kommt kein freundlicher Page und bringt unsere Koffer ins Zimmer, wir schnappen uns einen großen Lastenwagen, laden alle 6 Koffer drauf und folgen einem anderen Marsmännchen zum Aufzug und verabschieden uns vom Schweden. Der 33. Stock ist nun für 14 Tage unsere Bleibe, Zimmer 3301. Das Tischchen vor der Tür weist mich schon jetzt daraufhin, dass wir hier jetzt 3 mal am Tag das abgestellte Essen schnell ins Zimmer uns schnappen werden. Das Marsmännchen gibt uns noch eine Tüte mit Klorollen, eine Packung mit Chlortabletten und eine Rolle Mülltüten. Wahrscheinlich sagt er so was ähnliches wie alles Gute oder so, sein Chinesisch verstehen wir natürlich nicht. Er scheint zu lächeln.

Zimmer 3301

Nun sind wir also in unserem Zimmer, eine kleine Suite. Es ist in Ordnung. Wir richten uns irgendwie ein, jeder sucht sich eine kleine Ecke. Wir haben beide keinen Impuls, die Koffer auszupacken. Es soll ja nicht heimisch werden. Der Blick aus dem Panoramafenster ist cool.

Wir gucken auf den Huangpu, ein Fluss, der das Stadtzentrum teilt. Die Yangpu Bridge haben wir voll im Blick, wenn wir die Ecke von der Shanghai Skyline erhaschen wollen. Tolle Architektur und ich denke an die Golden Gate Bridge.

Aber mit Tor zur Freiheit hat das hier gerade nichts zu tun. In den kommenden 14 Tagen werden wir den Fluss lieben lernen, denn hier ist viel zu glotzen, Schiffe von links und rechts, Schlepper, die Gezeiten. Das Zählen der Schiffe macht Spaß. Ich denke an die Wimmelbücher für Kinder von Ali Mitgutsch, auf den Bildern war so viel zu entdecken und immer wieder was neues.
Es war herrlich, denn manchmal haben wir gemeinsam geglotzt und uns gefragt, ob der eine orangene Kran da unten gestern da auch schon war. Wir lachen. Wahrgenommen hatten wir nur den verrosteten braunen. Der Fluss hat uns viel Gesprächsstoff gegeben.

Und wenn alle Schiffe mal gerade uninteressant waren, habe ich die Anzahl der vorbeifahrenden Linienbusse gezählt. Es sind viele, sehr sehr viele. Irgendwie vermisse ich ein bisschen den Blick.

14 Tage stereotypes Abhocken

Das Essen war schrecklich. Egal ob Chinesisches Essen oder die Continental Food Variante. Im Koffer waren ein paar deutsche Leckereien wie Schokolade, Lakritze oder Salziges und am Duty Free habe ich mir Piccolo Champagner Flaschen gegönnt. Ein bisschen dekadent, aber es musste sein.

Zum Glück konnte die Assistentin von meinem Mann das ein oder andere Abgepackte uns schicken und zwischendrin – gut versteckt – waren ein paar Deutsche Gebräue in Dosen. Ein Highlight am Abend.
Jeden Tag wurde 2 mal unsere Temperatur gemessen, so um 9 Uhr und so um 15 Uhr. Dazu kamen 3 PCR Test an Tag 4, an Tag 7 und an Tag 13. Jedes Mal haben die Marsmännchen freundlich hello gesagt und unsere Temperatur war welly good.

Mein Mann hat natürlich gearbeitet, immer wieder lokale und internationale Telefonkonferenzen und Interviews mit potentiellen neuen Mitarbeitern geführt. Oft bin ich gar nicht drumrum gekommen, zuzuhören. Meine Einschätzungen zu Sympathie und Antipathie waren immer richtig. Ein 14 tägiges kostenloses Feedback von der Ehefrau eines CEO gibt es sicher auch selten.
Ich habe mehrheitlich mich mit meiner nun kommenden Zeit in Shanghai befasst, habe viele tolle Bücher und Zeitschriften gelesen, erstaunlich wenig Netflix angemacht.


Die Laune war bei uns beiden oft ok, aber manchmal auch einfach so dumpf. Da half bei mir nicht social media als Ablenkung, sondern Lesen, meine Internetseiten an einigen Stellen verbessern und Bewegung. Ich bin die werdende Queen am Hulahoop Himmel, sagt mein Mann!
Neue Kleidung täglich war so überflüssig wie Schuhe anzuiehen. Ein Pyjama reicht auch aus, aber eben nicht immer. Manchmal hatte ich das Lotterige satt und habe mich richtig ordentlich angezogen, Duft und einen schönen Lippenstift inbegriffen. Ich war quasi ready to go. Nur halt nicht sofort! Aber sich nett zurecht zu machen ist doch auch was schönes. Schatz, du siehst zauberhaft aus. Das ist doch ein schönes Kompliment in einer Zwangsquarantäne…

7 Tage Home Monitoring

Nach 14 Tagen wurden wir entlassen. Es waren wirklich 14 Tage auf die Stunde genau, denn am 2. September wurden wir um 15 Uhr am Flughafen von Shanghai-Pudong registrierst und am 16. September 15 Uhr endete somit die Quarantäne. Mit dem Auschecken waren wir um 14:53 Uhr fertig und wir haben am Hintereingang gestanden, an dem wir eben 14 Tage vorher ankamen. Please wait 7 minutes hörten wir. Korrekt ist korrekt. Unser Fahrer Neo hat uns freudestrahlend im Empfang genommen, das Einatmen von frischer, warmer, stickiger, leicht stinkender Luft war ein Genuß. 14 Tage ohne frische Luft, da nimmst du alles was kommt.


Organisieren können die Chinesen gut, denn Ogaa vom Health Monitoring Team unseres Stadtteils hatte schon mit meinem Mann, der Assistentin von ihm und mir eine WeChat Gruppe gebildet. Ab jetzt hat Ogaa uns überwacht. Jeden Tag haben wir zwei mal unsere Temperatur per Videodreh ihr übermittelt. Immer kam ein ok.
Da wir noch nicht genügend PCR Test über uns haben ergehen lassen, sind wir an Tag 16 und Tag 21 nach Einreise nochmal zum Testen ins Stadtteil Covid Pfüfzentrum einbeordert worden. Die Assistentin von Meinem Mann hat das alles wunderbar für uns organisiert. Ohne sie wäre es sicher ungleich komplizierter geworden. Auch diese negativen Testergebnisse haben wir in der WeChat Gruppe gepostet. Letzten Donnerstag kam dann von Ogaa: Sieben Tage kommunale Gesundheitsüberwachung ist vorbei. Wir drei danken ihr. Nun sind wir Frei!

14 + 7 Tage

14 Tage in ein Hotelzimmer eingesperrt zu werden ist eine meiner komischsten Erfahrung, die ich gemacht habt. Nicht raus zu dürfen, sich nicht frei bewegen zu können und 14 Tage Essen aus Plastikschalen, überwacht zu werden. Ätzend.
Diese 7 Tage Home Monitoring waren hingegen vollkommen in Ordnung. Wir haben uns frei bewegen können, mein Mann ist ins Büro gegangen und ich habe unsere Wahlheimat Shanghai viel radelnd wiederentdeckt und wir haben gutes Essen an ordentlich gedeckten Tischen mit Porzellan, Gläsern, Besteck und Servietten sehr genossen.
Die Zimmer unserer Söhne sind genau so, wie wir sie Ende Januar 2020 für die 8 Tage Ferien in Thailand verlassen habe. Die Schulbücher, Hefte und Stifte liegen bereit und die Fußballschuhe für das nächste Training sauber. Wer hätte damals gedacht, dass wir aus Thailand nach Deutschland vor einem Virus fliehen, der zu diesem Zeitpunkt in Europa noch keine Gefahr darstellte und unsere Söhne ihre Schule in Shanghai nie wieder besuchen werden? Niemand.

Das Leben geht weiter – für mich nun wieder in Shanghai und auch mein Blog Shanghai-Calling erwacht so langsam wieder zum Leben. Schaut vorbei in MEINEM SHANGHAI ABC oder gerne auch bei meinen Buchempfehlungen zu China.

Alles Luise

P.s.: Auf Instagram unter SHANGHAI.CALLING könnt ihr Shanghai und China in Bildern und kleinen Geschichten entdecken.