29. Blog am 16. April 2020
Seit 10 Wochen bin ich nun in Deutschland. Ich bin dem aufkommenden Coronavirus damals mit meinem Mann und unseren Zwillingen aus dem Weg gegangen. Das sollte für 2 – 3 Wochen sein. Nun sind es 10 geworden. Ein Ende scheint nicht so richtig in Sicht zu sein.
Situation in Shanghai
Das Leben in Shanghai kommt seit 2 Wochen stetig zurück, die Geschäften und Märkte öffnen wieder, die Menschen kommen aus ihren Häusern raus. Vorsichtig lockern sich die Einschränkungen, denn es gibt im Land keine Neuinfektionen mehr. Diese kommen alle aus dem Ausland entweder von Chinesen, die endlich zurück in ihr Land wollen oder von Ausländern, die in China leben und arbeiten. Geschäftsreisende gibt es zur Zeit nicht, so dass sich die Gruppe der Einschlepper auf diese zwei Gruppen mehr oder weniger beschränkt. Dies hat zu drastischen Maßnahmen seitens der Regierung in Peking geführt. Die Grenzen wurden geschlossen. Nur noch Chinesen und Diplomaten können ins Land.
Eine Rückkehr der Ausländer an ihren Arbeitsplatz in China ist nun erstmal verhindert. Darunter leidet auch mein Mann gerade, der über Ostern einfach mal aus China raus musste, ein zwei wöchige Quarantäne in Kauf nehmen wollte, um dann wieder an seinem Arbeitsplatz sitzen zu können.
Nun ist sein Arbeitsplatz im Hunsrück im Gästezimmer. Er schaut ins Grüne, er schaut auf einen alten Pferdeschuppen und er wird mit Kaffee und Familie versorgt.
Glück
Ich habe Glück. Wir haben Glück. 2008 sind wir nach 3 Jahren Mexiko nach Deutschland zurückgekommen und mein Mann und ich wollten für uns und unsere damals noch sehr kleinen Kinder einen Ort haben, wo wir am Wochenende mal hin können. Wir fanden im Hunsrück unser Refugium und kauften es. Es sollte auch für den Fall dienen, wenn wir nochmal ins Ausland geschickt werden, dass wir in Deutschland für die Ferien eine Bleibe haben und wir nicht nur bei den Schwiegereltern auf der Bettkante sitzen oder wir uns eine Ferienwohnung mieten müssen. Wir haben gut daran getan, so intensiv zu suchen und haben eine wunderschöne alte Mühle von 1870 gefunden, die komplett abgelegen vom Dorf in einem Tal liegt und von wo aus wir auf ein Hirschgatter schauen. Die Hirsche fürchten uns nicht mehr vor uns. Natur pur.
In den letzten 10 Jahren haben wir unsere Mühle stetig umgebaut und verschönert und jede Ecke der Mühle so gestaltet, dass wir als Familie es wirklich schön haben und wir aber auch genügend Gästebetten für Family and Friends haben. Der Mühlenbachlauf plätschert. Die Kinder haben sich in den letzten Jahren immer darum gekümmert, dass er schön aussieht und gut fließt oder mal mit Staudämmen zum Halten gebracht wurde. Ein kleines schwedisches Saunahäusschen haben wir mittlerweile auch im Garten.
Mühle als Zufluchtsort
Dass ich hier einmal 10 Wochen am Stück wohnen würde und die Mühle als Zufluchtsort für mich und jetzt für die ganze Familie dient, daran hätte ich nun wirklich nie gedacht. Als ob der liebe Gott eine Eingebung hatte, dass wir tatsächlich irgendwann mal einen Ort brauchen, wo wir in Deutschland unter kommen, wenn wir gerade auf Auslandsentsendung sind und gerade die Welt Kopf steht. Unser Haus in Ingelheim haben wir aufgegeben, da ist gerade nichts zum Wohnen für nun 6 Personen.
Wir führen nun alle ein Expatleben im eigenen Land, das ist so absurd wie es sich anhört. Das alltägliche gewohnte Hab und Gut ist entweder in China oder in einem Containerlager irgendwo zwischen Mainz und Mannheim. Meine Lieblingskleidung ist in China und den kleinen Teil von Materiellem Hab und Gut, das ich zum Leben in der Ferne haben wollte, ist nun auch in China und nicht greifbar.
Was mir wichtig ist
Das Einzige, was mir wichtig war für mein Dasein hier, war mein Mac, den mein Mann mir nun nach 8 Wochen mitgebracht hat. Dazu kam noch meine Lieblingskette – ein Cylonsaphir in Gold eingefasst an einer goldenen Kette. Ich trage sie seit 19 Jahren täglich und habe sie für den Thailandurlaub in China gelassen, weil ich sie nicht verlieren wollte. Da ich von dem Thailandurlaub nicht zurück nach China flog, sondern direkt nach Deutschland, war die Kette in meinem Asienfluchtkoffer nicht dabei.
Ich habe gemerkt, dass das ganze Materielle nicht wirklich für Glück oder Unglück wichtig ist, dass es nicht entscheidet über einen emotional guten oder schlechten Tag, dass es zwar ein schönes Geschmücke ist, aber in der Krise hilft die schwarze, braune, grüne, beige, rote oder blaue Handtasche nicht.
Was hilft in der Ausnahmesituation?
Familie und Freunde – das sind diejenigen, die helfen, denen Du hilfst und mit denen Du dich austauschst. Besonders schön war dabei mein morgendliches Ritual – Kaffeepott im Bett und mit meiner Freundin in Mainz das Leben per WhatsApp ordnen, den Tag planen, mal ausheulen unser Dasein als Vierfachmütter beleuchten und in den Tag mit Projekten oder eben auch mal keinem Projekten starten.
Gerade haben wir das morgendliche Kaffeepott Ritual unterbrochen, das ist mal so, es kommt wieder.
Ich trinke nach wie vor meinen Pott Kaffee, mal mit meinem Mann im Bett, mal ohne. Mehrheitlich ohne, denn er ist gegen 7 Uhr schon häufig in Telefonkonferenzen mit China. Ich lese meine Lieblingszeitschrift, jeden Tag ein Artikel und ich ziehe das Wesentliche daraus. Meditation – ich habe eine tolle App gefunden! Umgang mit Wut – oh ja, ich kann wütend sein. Ungeduld – wie komme ich davon weg? Ich mag gerade solche Themen, Reflektion und Selbsterkenntnis. Ich ziehe aber auch kreative Ideen aus meiner Zeitschrift, das beflügelt meine Fotografie. Vielleicht kennt ja jemand die Zeitschrift FLOW. Ich bin gerade ein Fan.
Tägliche Rituale – Struktur
Es ist also ein tägliches Ritual, was in dieser Zeit der emotionalen Achterbahnfahrt hilft. Ich versuche Struktur in den Tag zubringen, das hilft. Besonders hilft mir mein Schreibkurs, den ich seit 2 Wochen mache. Jeden Tag um 10 Uhr logge ich mich in ein Live ein. Da lernen ich und bekomme Prompts – Schreibaufgaben für den nächsten. Ein Potpourri an Teilnehmerinnen, alle unterschiedlich, alle lustig und schreibbegeistert. Das macht Spaß.
Und jeden Tag um 11 Uhr logge ich mich in ein live Interview von Adobe Deutschland ein und höre erfolgreichen Kreativen zu. Manche Interviews interessieren mich brennend, manche passen nicht zu meinen Interessen. Um 12 Uhr ist dann der Input rum und ich bin erstmal gesättigt.
Die Fotografie hilft mir auch. Zum Glück hatte ich meine Leica von Anfang an bei mir. Jedoch habe ich in den ersten Wochen gar kein Zugang zum Fotografieren bekommen. Was sollte ich auch für Motive im Grau in Grau finden? Erst seit kurzer Zeit merke ich wieder, dass auch hier die Kräfte zurück kommen und ich meine www.luisegutsche.de Seite aufpeppe und mir meinen Wunsch erfülle, endlich einen kleinen Online-Shop zu eröffnen. Bald ist es soweit, ich werde berichten.
Die lieben Kinder
Für meine Zwillingssöhne waren die letzten Wochen auch nicht leicht, von der Britischen Schule und den Freuden in Shanghai getrennt zu sein, plötzlich wieder in Deutschland zu hocken und onlineschooling ohne Material machen zu müssen. Wir haben sie kurzerhand in die gleiche Schule wie die beiden Großen in Schottland schicken können. Sie haben dort einen geregelten Schulalltag mit sozialen Anschluss und viel Sport gehabt. Sie waren mehr als happy.
Mittlerweile sind die Schulen in Großbritannien auch geschlossen und heute sollte eigentlich der Summer Term beginnen. Nun beginnt hier im Hunsrück für alle Kinder der Summer Term mit Onlineschooling. Die Zwillinge werden das Schuljahr mit der Schottischen Schule beenden, anders ist es organisatorisch nicht zu meistern.
In unserer kleine Mühle sind nun Bierbänke und Gartentische verteilt, damit jeder einen eigenen Arbeitsplatz hat. Es wird sicherlich einiges an Disziplin von jedem abverlangt werden, dass in Ruhe gearbeitet werden kann, um nach erledigten Aufgaben raus zu gehen, eine Runde Fussball zu spielen oder doch noch mal Holz zu hacken.
Schulmutter und Schulpapa
Nun bin ich wieder vollkommen Schulmutter, schmeisse sie morgens aus den Federn, bekoche sie und helfe ihnen wenn möglich bei Aufgaben. Das Einzige, was ich nicht mehr vorbereiten muss sind die lästigen Butterbrotboxen für die Schule.
Sicherlich wird mein Mann auch mal Mittagessen kochen, das macht ihm Spaß und geht zwischen den Telefonaten sicherlich immer mal wieder.
Ich freue mich auf die fleissige Home Office und Home Schooling Zeit. Dann sind die Tage wieder mehr strukturiert und wir werden ein richtiges Wochenende haben mit langem Ausschlafen und ausgiebigem Brunch.
China ist fern
China scheint für mich ferner denn je zu sein und Deutschland die erste Wahl in der momentanen Corona Krise. Nicht leicht zu akzeptieren, denn ich vermisse die Möglichkeit, die Kultur und das Land mehr und mehr zu entdecken.
All denen, die in ähnlicher Situation sind mit Home Schooling wünsche ich gute Nerven und liebe Kinder, gutes WLAN und immer den Gedanken, dass es eine vorübergehende Situation ist.
Bleibt gesund! Luise
